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In der Gegend des Harzortes Elend befand sich einmal ein Brunnen. Dessen Wasser war klar und rein und man erzählte, dass alle Menschen, die von dem Wasser getrunken haben, gesund und glücklich würden. Das sprach sich schnell herum und so kamen oft Fremde, um das Wasser zu schöpfen. Und die Dorfbewohner holten es sich fast täglich.

In Elend lebte damals ein Mädchen, dem war die Mutter gestorben. Das führte zusammen mit ihrem Vater den Haushalt und versorgte die jüngeren Geschwister. Das Mädchen war fleißig, sehr schön und es hatte ein großes Herz und half allen wo es nur konnte. Wenn es in den Wald ging um Früchte, Beeren und Pilze zu suchen, öffneten die Brombeeren ihr den Weg, die Brenneseln hörten auf zu stechen und die Schlangen gingen ihr aus dem Weg, denn niemand wollte diesem lieben Mädchen etwas zuleide tun.

Grafik von Lisa BergEines Tages machte sich das Mädchen auf den Weg zum Brunnen um Wasser zu holen. Es war Frühsommer und die Dorfbewohner waren auf den duftenden Bergwiesen bei der Grasmahd. Als das Mädchen am Brunnen anlangte, sah sie plötzlich eine große, graue Wölfin liegen. Die hatte sieben Junge, die sich alle drängten, um bei ihrer Mutter zu trinken. Ein Bild, welches das Herz des Mädchens erwärmte, aber gleichzeitig erfasste sie große Furcht.

Aber die Wölfin schien sehr erschöpft zu sein, die Zunge hing ihr aus dem Maul und ihr Atem flog. Mitunter winselte sie und dann drängten sich die sieben Kleinen ganz dicht an ihre Mutter. Aber die Wölfin hatte keine Milch mehr. Als das Mädchen das sah erschrak es und lies die mitgeführten Eimer fallen, die krachend und klirrend auf den steinernen Boden fielen. Da hob die Wölfin ihren Kopf und sah das Mädchen mit traurigen Augen an. Das Mädchen empfand großes Mitleid und verlor jede Angst.

Die Wölfin wird wohl krank sein, dachte sie, und mir sicher nichts tun. Ich werde ihr zu saufen geben, sie wird schon merken, dass ich ihr nur helfen will. Sie nahm einen Eimer und ging langsam zum Brunnen, direkt auf die Wölfin zu. Die knurrte zuerst, aber das Mädchen näherte sich weiter furchtlos. Da wurde das große Tier stiller und stiller. Das Mädchen kniete sich neben die Wolfsmutter und kraulte ihr und den Kleinen sogar das Fell. „ich werde dir jetzt zu saufen geben, damit du dich wieder stärken kannst“ sagte sie und lies den Eimer in den Brunnen eintauchen. Dann stellte sie den vollen Eimer neben die Wölfin. Die erhob sich mühselig und trank in einem Zug den ganzen Eimer leer.

Dann räkelte und streckte sie sich, leckte liebevoll ihre Welpen und legte sich in den Schatten einer großen Linde. Und siehe, jetzt konnten die Kleinen trinken, es war Milch für alle da. Das Mädchen stand lächelnd daneben und man konnte ihr die Freude ansehen. Schnell füllte sie noch ihre Eimer mit frischem Wasser und eilte nach Hause. Am Abend erzählte sie ihre wundersame Geschichte dem Vater. Er strich seiner geliebten Tochter zärtlich übers Haar und sagte: „Es war gut, dass du keine Angst hattest, dass merken die Tiere. Auch ist diese Wölfin anders als ihre Artgenossinnen, sie tut den Menschen nichts. Sie vertraut ihnen und wenn sie in Not ist erwartet sie Hilfe. Doch wer vor ihr davon läuft oder ihr ein Leid zufügt, der wird es bereuen müssen. Es war mutig und selbstlos ihr zu saufen zu geben. Sie wird es dir sicher lohnen!“.

Es war inzwischen Winter geworden, hoher Schnee bedeckte Wald und Flur. Es war eisig kalt und um es im Hause warm zu haben, machte sich das Mädchen auf in den Wald um Holz zu sammeln. Aber es kam ein böser Schneesturm auf und das Mädchen verirrte sich und fand nicht nach hause zurück. Sie wusste nicht weiter und überall im Gehölz knackte und raschelte es furchterregend. Da setzte sie sich auf ihr Reisigbündel, welches sie gesammelt hatte und fing bitterlich an zu weinen. Plötzlich stand eine große, graue Wölfin vor ihr.

Das Mädchen bekam einen großen Schreck und wollte schon weglaufen, doch da erkannte sie das Tier, dem sie im Sommer Wasser gegeben hatte. Die Wölfin lief vor ihr her und forderte das Mädchen gestenreich auf, ihr zu folgen. Da nahm das Mädchen ihr Reisigbündel und ging ihr nach. Die Wölfin führte sie unbeschadet nach Hause. Vor ihrer Hütte angekommen kraulte sie der Wölfin das Fell, worauf diese einen markerschütternden Schrei in den Wald ausstieß. Dann eilte sie in den Wald zurück und das Mädchen war froh dem sicheren Tod entkommen zu sein. In der Nacht dachte es lange über die graue Wölfin nach, bevor es einschlief. Am nächsten Tag erzählte sie allen im Dorf ihre Geschichte.

So kam es, dass dieser Brunnen fortan „Wolfsbrunnen“ genannt wurde. Und wenn seitdem ein Wolf in die Nähe des Dorfes kam, so jagte man ihn nicht, sondern stellte ihm Wasser und Brot bereit. So lebten seit jener Zeit Wölfe und Menschen friedlich nebeneinander und kein Wolf richtete jemals wieder Schaden im Dorf an. 


gezeichnet von Lisa Berg

 
Sagen, Mythen und Legenden aus dem Harz, Bd. 2
Bernd Sternal (Autor), Lisa Berg (Autor + Zeichnungen)
Sagen, Mythen und Legenden - Band 2Mythen, Sagen und Legenden prägen den Harz wie kaum etwas anderes, wir begegnen ihnen auf Schritt und Tritt. Sie berichten von geschichtlichen Ereignissen oder einfach nur vom Leben der Menschen. Sie entstanden zu Zeiten, wo Schreiben und Lesen Adel und Kirche vorbehalten waren. Darum wurden sie mündlich überliefert, von Generation zu Generation.

Wir haben sie gesammelt, ihnen ein modernes Kleid geschneidert und sie farbig illustriert. Um sie zu erhalten und weiter zu überliefern, denn leider sind Erzählstunden nicht mehr all zu modern. Vielleicht gefallen ihnen ja unsere Harzer „Geschichten“ aus alter Zeit und sie erzählen sie ihren Kindern und Enkeln weiter?

Gebundene Ausgabe: 29,90 €
144 Seiten mit 42 farbigen Illustrationen

Taschenbuch: 14,99 €
144 Seiten mit 42 schwarz-weiß Illustrationen

 
 
   

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