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Titel

Es lebte einmal ein jungvermählter Köhler, namens Heinrich, mit seiner Frau in der Nähe des heutigen Dammbachhauses, dicht bei der Sösequelle. Das Paar lebte in großer Armut und die Frau, die aus der Stadt Osterode stammte, war sehr unzufrieden. Ständig nervte sie Heinrich, wieder in die Stadt zu wollen, wo man nicht hungern müsse. Das Gekeife machte Heinrich krank, seine Arbeit machte ihm keinen Spaß mehr und er war nur froh, wenn er sein ungemütliches Heim hinter sich gelassen hatte.

Eines Tages war er wieder im Wald unterwegs, als urplötzlich eine geheimnisvolle Gestalt vor ihm stand. Mit gnomenhaftem Kopf, langem Bart und einem langen, hageren Körper wirkte der Unbekannte riesengroß. Sein Kittel war schwärzer als Holzkohle, aber seine Füße steckten in Schuhen, die aus Silber gegossen waren. Man nannte ihn im Harz ehrfurchtvoll „Silberschuh“.

„Bist du Heinrich der Köhler?“, fragte er und hielt einen großen Silberbrocken in der Hand. Heinrich nickte nur und seine Augen strahlten den Silberbrocken an, der Wohlstand und Glück versprach. „Möchtest du den haben?“, fragte Silberschuh. Heinrich nickte wieder. „Hast du Kinder?“, fragte da der Berggeist unvermittelt.

Zur Abwechslung schüttelte der Köhler mit dem Kopf. Da steckte Silberschuh den Silberbatzen wieder in die Tasche und sagt: „Bedauerlich, sehr bedauerlich für dich! Denn allein sieben Mädchen können dich glücklich machen.“. Nach dieser Rede verlor der Köhler seine Scheu und fragte was diese Worte zu bedeuten hätten. „Nun“, antwortete Silberschuh, „es gibt eine uralte Weissagung, die besagt, dass der Köhler einen großen Schatz haben wird, dem sieben Mädchen geboren werden.“.  „Sieben Mädchen“, murmelte Heinrich. Er dachte an seine armseligen Verhältnisse. „Unmöglich, wovon sollen wir leben?“, murmelte er.

Da sagte der Berggeist: „Sag deiner Frau, Silberschuh wäre dir begegnet.“ Dann warf er den Silberbrocken in den Himmel. Der Köhler öffnete seine Hände, er wollte den Silberbrocken auffangen. Aber der war verschwunden, wie auch Silberschuh, als der Köhler sich nach ihm umschaute.

Wieder zu Hause angekommen erzählte der Köhler sogleich seiner Frau von seiner Begegnung. Und als sie sich über die Weissagung von Silberschuh unterhielten, kamen sie zu der Erkenntnis, dass von sieben Mädchen noch keiner reich geworden war. In der Nacht aber hatte sie einen schrecklichen Traum: Sie sah zahlreiche Köhlerfamilien mit sieben Töchtern auf dem Weg zu Silberschuh, um diese gegen Silber einzutauschen. Aber Heinrich und sie waren die letzten in der Schlange, ohne Chance, noch rechtzeitig zu dem Berggeist zu gelangen. Und sie mussten weiter, bis an ihr Ende, das armselige Köhlerdasein ertragen. Als sie aufwachte, da war ihr Entschluss gefasst! Und sie kniete nieder und betete zum Gott im Himmel.

Ihr Gebet wurde erhört. Nach und nach wurden dem Köhlerpaar sieben Töchter geboren. Alle Mädchen waren sehr hübsch und auch sehr lieb. Sie hätten den Eltern viel Freude und Glück bereiten können, wenn die etwas für ihre Mädchen übrig gehabt hätten. Aber die dachten nur an die Silberbrocken und an ihren zukünftigen Reichtum und waren dadurch Menschen ohne Freude, ohne Liebe und Zuwendung geworden. Sie erkannten den lebenden Schatz nicht, der ihr Eigen war, und hatten nur im Sinn, diesen gegen totes Metallerz einzutauschen.

Grafik von Lisa BergAls die Mädchen groß waren, gingen die Eltern mit ihnen zu dem Platz, wo Heinrich vor Jahren Silberschuh getroffen hatte. Dort riefen sie nach ihm. Es rauschte unheimlich in den Bäumen und sie sahen einen Wirbel silberner Kugeln über den Gipfeln. Und da stand plötzlich die geheimnisvolle Erscheinung von Silberschuh vor ihnen, aber seine Hände waren leer. "Wo hast du die Silberbrocken", fragte die Köhlerfrau ungeduldig, aber Silberschuh ging nicht auf ihre Frage ein.

Er besah sich die sieben Mädchen und nickte zufrieden. „Ich nehme sie mit", sprach er. „Nichts da, nichts da“ kreischte die Frau, „erst das Silber, dann die Mädchen!“. „Was ich versprochen habe, halte ich auch“ sagte Silberschuh.

„Erinnerst du dich noch Köhler, was ich dir einst gesagt habe?". Dieser nickte. „Einen großen Schatz wird der Köhler haben, dem sieben Mädchen geboren werden, sagte ich, richtig? Ihr habt sieben Mädchen bekommen, eins schöner als das andere. Welch ein gewaltiger Schatz! Es kann keinen größeren geben!“.

Das Köhlerpaar sah verdutzt drein, was sollte das jetzt heißen? „Und wo bleibt unser Silber“, fragte sie leise. „Ihr habt einen Schatz gehabt, um den euch die ganze Welt beneidet hätte. Wer sieben solcher wundervollen Leben gegen Erz eintauschen will, hat selbst diesen Stein nicht verdient“. Silberschuh zog die sieben Mädchen an sich und bevor die Eltern reagieren konnten, war er mit ihnen verschwunden.

Das Köhlerpaar trat seinen bitteren Heimweg an. Und überall fragte es nach, ob jemand ihre sieben Mädchen gesehen hatte. Aber die Leute lachten sie nur aus und sagten: „Ihr wollt sieben Töchter gehabt haben, wo ihr nicht mal für euch genug zu essen hattet? Und wo ihr keinem Kinde etwas gegönnt habt?“
Bald darauf starben die beiden Alten vor Gram, ohne zuvor Trost bei den Menschen oder Gott gefunden zu haben.

Silberschuh war mit den sieben Mädchen direkt zum Brocken hinaufgestiegen. Von dort hatte man den besten Blick über die Harzberge. „Es ist meine Schuld, dass ihr bis jetzt so ärmlich und unglücklich gelebt habt“, sprach er. „Von der Schuld eurer Eltern will ich nicht reden. Aber ich will es wieder gut machen. Ihr sollt es zukünftig besser haben als jede Prinzessin. Ich will jeder von euch ein prächtiges Haus bauen“. Er zeigte auf die Berge vor sich und sprach: „Sucht euch einen Platz aus, wo ihr künftig wohnen wollt, ich werde alle eure Wünsche erfüllen“.

Die Älteste von ihnen überlegte nicht lange: „Dort oben auf der Hochebene, wo die rauen Winde wehen, möchte ich wohnen. Aber nicht allein, meine Zwillingsschwester, ohne die ich nicht sein kann, soll mit mir leben“. „Ist mir recht“, sagte Silberschuh, in der Nähe der Bremerhöhle sollt ihr wohnen“. Und dann gab eine nach der andern ihren Wunsch preis.

Die Ängstlichste unter ihnen wünschte sich in einem Tal zu wohnen, wo sie Schutz vor Hexen und bösen Geistern hätte. Sie erhielt den Wohnsitz zwischen dem Galgenberg und dem Einersberg, unweit der Quelle der Gesundheit. Die Hübscheste und Zarteste unter den Schwestern zeigte über alle Berge hinweg, wo der Hübichfelsen aufragte. Silberschuh wies ihr den Platz am Rösteberg zu.

Die fünfte Schwester war nicht so gut zu Fuß und zeigte in den nahen Talgrund. „Am Schwarzen Berg sollst du wohnen, da wo die Oker fließt“ sagte Silberschuh. Die beiden Letzten waren sich nicht schlüssig! „Gut“, sprach Silberschuh, „lassen wir den Himmel sprechen“. Da stieg aus einer zerklüfteten Berglandschaft ein Andreaskreuz empor. „Du, die frommste von euch, wirst dort wohnen“, sprach er. 

Zum Schluss kam die lustigste von den Sieben. „Du siehst so leicht und fröhlich wie ein Vögelchen aus“, sprach der Berggeist. „Da hinten, wo die Kraniche ihre Nester bauen, sollst du dein Leben verbringen“. Silberschuh nannte den Ort Kranichsberg.

Und der Harzer Berggeist hielt Wort. Er baute den Mädchen herrliche Paläste, bei denen ihm nichts zu kostbar war. Kein König hätte nobler residieren können. Und er brachte den Schwestern regelmäßig Geschenke, wie schöne Kleider, Geschmeide und edle Speisen und Getränke. Nichts war ihm zu teuer.

Aber die Mädchen blieben einsam, was auch die vielen Bediensteten nicht ändern konnten. Ob sie glücklich und zufrieden mit ihrem Reichtum waren, wissen wir nicht. Aber als sie starben, trauerte Silberschuh lange Jahre um sie. Und er streute Asche über den Oberharz, soviel, bis alle ihre prächtigen Schlösser vollständig davon bedeckt waren. So wurden die reichen Schlösser praktisch zu Grabkammern, wie es keine zweiten auf dieser Welt gab.

Viele Jahre vergingen bis die Menschen davon hörten. Sie kamen in den Oberharz, um nach den sagenhaften Schatzkammern zu suchen. Da sie ausdauernd suchten, fanden sie nach und nach alle sieben Schatzkammern. An den Fundorten begannen sich die Menschen anzusiedeln und gründeten dort die sieben Oberharzer Bergstädte. Wo einst die zwei ältesten Schwestern gelebt hatten wuchsen die Städte Clausthal und Zellerfeld zusammen. Zwischen dem Galgenberg und dem Einersberg entstand Wildemann, am Harzrand, nicht weit vom Hübichstein, Bad Grund. Die Stadt am Fuße des Schwarzen Berges nannten die Menschen Altenau. Und dort wo das Andreaskreuz erschienen war, wurden die Berghänge bebaut und die Siedlung St. Andreasberg genannt. Und auch im Tal der Innerste, dort wo die Kraniche ihre Nester erbauten, fanden die Menschen eine Schatzkammer und gründeten Lautenthal.

Die sieben Bergstädte gibt es noch heute, nur ihre Schatzkammern sind leer. Aber es soll bereits wieder Menschen geben, die erneut auf Schatzsuche gehen. Vielleicht haben ja die Vorfahren nicht alle Schätze gefunden oder einige einfach nur übersehen. Wer weiß das schon genau!


gezeichnet von Lisa Berg

 
Sagen, Mythen und Legenden aus dem Harz, Bd. 2
Bernd Sternal (Autor), Lisa Berg (Autor + Zeichnungen)
Sagen, Mythen und Legenden - Band 2Mythen, Sagen und Legenden prägen den Harz wie kaum etwas anderes, wir begegnen ihnen auf Schritt und Tritt. Sie berichten von geschichtlichen Ereignissen oder einfach nur vom Leben der Menschen. Sie entstanden zu Zeiten, wo Schreiben und Lesen Adel und Kirche vorbehalten waren. Darum wurden sie mündlich überliefert, von Generation zu Generation.

Wir haben sie gesammelt, ihnen ein modernes Kleid geschneidert und sie farbig illustriert. Um sie zu erhalten und weiter zu überliefern, denn leider sind Erzählstunden nicht mehr all zu modern. Vielleicht gefallen ihnen ja unsere Harzer „Geschichten“ aus alter Zeit und sie erzählen sie ihren Kindern und Enkeln weiter?

Gebundene Ausgabe: 29,90 €
144 Seiten mit 42 farbigen Illustrationen

Taschenbuch: 14,99 €
144 Seiten mit 42 schwarz-weiß Illustrationen

 
 
   

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