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Die 36. Historie erzählt, wie Eulenspiegel zu Quedlinburg Hühner kaufte und der Bäuerin für das Geld ihren eigenen Hahn zum Pfande ließ.

Früher waren die Leute nicht so gewitzt wie jetzt, besonders nicht die Landleute. Einmal kam Eulenspiegel nach Quedlinburg, da war gerade Wochenmarkt, und Eulenspiegel hatte nicht viel Zehrgeld. Denn wie er sein Geld gewann, so zerrann es wieder. Und er dachte nach, wie er wieder zu Geld kommen könnte.

Nun saß eine Bäuerin auf dem Markte und hielt einen Korb voll guter Hühner samt einem Hahn feil. Eulenspiegel fragte, was ein Paar Hühner kosten sollen. Sie antwortete ihm: »Das Paar zwei Stephansgroschen.« Eulenspiegel sprach: »Wollt Ihr sie nicht billiger geben?« Die Frau sagte: »Nein.«

Grafik von Lisa BergDa nahm Eulenspiegel den Korb mit den Hühnern und ging auf das Burgtor zu. Die Frau lief ihm nach und sprach: »Käufer, wie soll ich das verstehen? Willst du mir die Hühner nicht bezahlen?« Eulenspiegel sagte: »Ja, gern, ich bin der Äbtissin Schreiber.« »Danach frage ich nicht«, sprach die Bäuerin, »willst du die Hühner haben, so bezahle sie. Ich will mit deinem Abt oder deiner Äbtissin nichts zu tun haben.

Mein Vater hat mich gelehrt: ich soll von denen nichts kaufen noch ihnen etwas verkaufen oder borgen, vor denen man sich neigen oder die Kappe ziehen muss. Darum bezahl mir die Hühner, hörst du wohl?« Eulenspiegel sagte: »Frau, Ihr seid kleingläubig! Es wäre nicht gut, wenn alle Kaufleute so wären! Sonst müssten alle guten Kameraden schlecht bekleidet einhergehen. Aber damit Ihr des Eurigen gewiss seid, so nehmt hier den Hahn zum Pfand, bis ich Euch den Korb und das Geld bringe.«

Die gute Frau meinte, sie sei wohl versorgt, und nahm ihren eigenen Hahn zum Pfand. Aber sie wurde betrogen. Denn Eulenspiegel blieb mit den Hühnern und mit dem Geld aus. Da ging es ihr wie denen, die bisweilen ihre Sachen aufs allergenaueste besorgen wollen: die betrügen sich manchmal zuallererst selbst.

So schied Eulenspiegel von dannen und ließ die Bäuerin sich sehr erzürnen über den Hahn, der sie um die Hühner gebracht hatte.


gezeichnet von Lisa Berg

 
Sagen, Mythen und Legenden aus dem Harz, Bd. 4
Bernd Sternal (Autor), Lisa Berg (Autor + Zeichnungen)
Sagen, Mythen und Legenden - Band 4Unser vierter Band schließt nahtlos an die Sagen, Mythen und Legenden der drei vorherigen Bände an. Es ist schon erstaunlich, wie viele dieser literarischen Relikte die Zeit überdauert haben. Das zeugt davon, wie wichtig es den Menschen in alter Zeit war, diese „Geschichten“ für ihre Nachwelt zu erhalten. Heute, in unserem Informationszeitalter, ist es eher unüblich noch Geschichten zu erzählen oder vorzulesen. Daher sind viele der alten Überlieferungen auch weitgehend in Vergessenheit geraten. In diesem und den noch folgenden Bänden werden wir sie wieder zum Leben erwecken – natürlich wie gewohnt, mit wunderschönen Zeichnungen von Lisa Berg. Übrigens, zahlreiche dieser Harzer Sagen, Mythen und Legenden waren auch Inspiration für einige bekannte Volksmärchenautoren wie die Brüder Grimm, Ludwig Bechstein, Ernst Moritz Arndt und Hans Christian Andersen.
Gebundene Ausgabe: 29,99 €
144 Seiten mit 56 farbigen Illustrationen

Taschenbuch: 14,99 €
144 Seiten mit 56 schwarz-weiß Illustrationen

 
 
   

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